Monday, March 30, 2009

Einmal ein Keynesianer (amv)

Das Nominaleinkommen fällt. Nicht nur fällt die reale Ausbringung, bei dauerhaften Konsumgütern und Kapitalgüter fallen auch die Preise. Löhne passen sich äußerst träge an, sind in vielen Bereichen gar steigend, mit dem Ziel jene Erträge heute zu ernten, welche gestern enstanden und bereits verbraucht sind. Die ewige Debatte kommt in die nächste Runde: Was ist in der Krise zu tun? Setzen wir darauf, dass Preise von Einsatzfaktoren schneller fallen als Outputpreise? In diesem Fall enstehen Profite, zumindest für jene in der Konsumgüterindustrie. Dann bräuchten Ertragserwartungen der Industriegüterproduzenten ebenfalls nicht fallen, da Kapazitäten nicht abgebaut werden. Dann sollten wir soweit wie möglich Lohnrigiditäten aufbrechen und zulassen, dass temporär Einkommen fallen, so dass Arbeit während der Preisdeflation nicht freigesetzt werden muss. Um Ertragserwartungen zu stabilisieren, müssen die Löhne stärker fallen als die Preise, ganz analog zu den Kapitalkosten. Glauben wir aber nicht, dass wir Rigiditäten schnell genug beseitigen können, oder glauben wir nicht, dass das Glück uns gewogen ist und Kosten durch schieren Zufall schneller fallen als Erträge, so müssen den Abfall des Nominaleinkommens kompensieren, d.h. die effektive Nachfrage stützen. Wir müssen ausnahmsweise Keynesianer sein!

Eine Kontraktion des Nominaleinkommens hat keinerlei heilsame Wirkung, führt nur weg von einem Gleichgewicht und produziert keine Gegentendenz. Nominalwerte sind mit jedem Outputlevel vereinbar. Dies steht natürlich nicht im Gegensatz zu klassisch-neoklassischen Position, jedenfalls nicht wenn man sie wirklich kennt. Die Aussage, dass Arbeitslosigkeit allein ein Lohnproblem darstellt und durch fallende Reallöhne geheilt werden kann, gilt ceteris paribus, d.h. unter Annahme einer konstanten effektiven Nachfrage. Nur weil diese unverändert bleibt, und so auch die Relation zwischen aggregierter Nachfrage und gesamtwirtschaftlicher Ausbringung, bleiben bei fallenden Nominallöhnen die Güterpreise konstant und erlauben so, dass fallende Nominallöhne überhaupt den Reallohn und die Arbeitsnachfrage tangieren.

Bleibt bei allgemeinem Konsumverzicht die aggregierte Nachfrage konstant, müssen Nettoinvestitionen steigen, getrieben durch die aufgrund fallender Lohnsätze höheren Ertragsraten! Keynes bespricht denselben Zusammenhang unter der Annahme, dass Nominallöhne zusammen mit der effektiven Nachfrage einbrechen, dass Investitions- und Konsumausgaben zugleich fallen. Dies ist der relevante Fall für die Große Depression. Dies ist der relevante Fall, wenn wir die gleichen Fehler nicht zweimal machen möchten. Das Problem mit beiden Ansätzen ist, dass sie sich als Allgemeingültig erachten, den jeweils anderen Ansatz ausschließend. Funktionieren Banken als Intermediäre (also normalerweise), heilen fallende Löhne die Arbeitslosigkeit. Fallen sie als solche aus, dann fallen Preise und Kosten, der Reallohn bleibt mehr oder weniger unverändert; dann kontraktiert der Investitionsgütersektor zusammen mit der Konsumgüterproduktion. Die Arbeitslosigkeit steigt sukzessive, trotz oder gerade wegen fallender Löhne, mit einem Einkommensausfall nach dem anderen.

Es gibt aber nur eine Möglichkeit die effektive Nachfrage zu stützen. Es muss genügend Geldmenge bereitgestellt werden, um die erhöhte gesamtwirtschaftliche Liquiditätspräferenz zu bedienen und so zu verhindern, dass Banken Ersparnisse horten und ihre Kreditvergabe drosseln um Nettozuflüsse zu generieren. Nur soweit dies funktioniert, ist die steigende Ersparnisbildung - der Konsumverzicht - unproblematisch. Die aktuelle Deflation der Investitionsgüterpreise spricht aber ein deutliche Sprache: Die Banken fallen als Intermediäre aus. Die Geldpolitik ist demnach zurecht expansiv. Sie hat die Refinanzierung bereits erheblich verbilligt, die FED bietet den Banken Geldbasis frei Haus. Doch die Zentralbanken bestimmen nur über den Geldbasisbestand; es sind die Marktteilnehmer, die über dessen Effektivität als Nachfrage bestimmen; es sind die Banken, die über ihre Reservesätze bestimmen. "Quantitative Easing" bläht zudem die Zentralbankenbilanz mit giftigen Papieren auf, die bei Abschreibung das Eigenkapital auffressen und die Zentralbank von Zuschüssen aus den jeweiligen Finanzministerien abhängig machen. Viel schlimmer noch: Fallen die Papiere im Wert, kann man die durch ihren Kauf geschöpfte Geldbasis nicht zurückkaufen. Die Zinsen müssen dann radikal steigen, und dass schon bald nach dem Einsetzen der Konjunktur. Anderfalls wird die Geldbasis schnell nachfragewirksam. Banken verringern ihren Reservesatz, die allgemeine Umlaufsgeschwindigkeit des Geldes nimmt zu. Kapazitäten werden schnell gefüllt, umso schneller je mehr Kapital zuvor abgebaut wurde und insofern je länger die Krise dauert. Güterpreise steigen und es besteht kaum Hoffnung dass dieser Prozess bei Vollauslastung zu seinem Ende kommt.

In beiden Fällen, in und nach der Krise, muss die Fiskalpolitik der Geldpolitik unter die Arme greifen. Momentan muss sie als Brücke fungieren, d.h. die geschöpfte Geldmenge in Zirkulation bringen. Der Staat muss sich verschulden, Staatsanleihen produzieren. Er produziert bei niedrigen Zinsen nahezu perfekte Geldsubstitute, d.h. Reserven die bei Geschäftsbanken hinsichtlich ihrer Wertaufbewahrungsfunktion ähnlich geschätzt werden wie Zentralbankguthaben, während der extrem niedrige Refinanzierungssatz noch Raum für Profitmöglichkeiten lässt, und so Banken die von der Zentralbank geschöpften Mittel gegen Staatsanleihen tauschen und so für die Zirkulation freisetzen.

Die Politik sollte die so freigesetzte Liquidität jedoch nicht nach tagespolitischen Erwägungen verausgaben. Wir korrumpieren gerade unser marktwirtschaftliches System, händigen es Interessensgruppen und der allgemeinen Hysterie aus. Wir greifen in Marktprozesse ein, verpfälschen den Wettbewerb und verhindern Lerneffekte.

Um sich weitestgehend neutral zu verhalten, sollte die Ausgabenseite sowohl die Investitions- als auch die Konsumgüterindustrien stimulieren. Um Verzerrungen weitestgehen zu vermeiden, sollten Konsumausgaben durch Steuergutscheine zugänglich gemacht werden. Dann entscheidet der Konsument. Die Verringerung von Steuersätzen ist eine grundsätzlich richtige Entscheidung und sollte ganz grundsätzlich vorgenommen werden. Allerdings sollten wir uns überlegen, ob wir das Arbeitsangebot inmitten einer Nachfragekrise stimulieren möchten oder nicht doch eher dannach. J. Cochranes Vorschlag folgend, sollten Investitionsmittel auf Primärmärkten angeboten werden, dass heißt auf den Märkten für Neuemissionen. Sie treiben den Zins an der entscheidenden Stelle nach unten und forcieren Nettoinvestitionen. Dabei sollten die Mittel gleichsam auf ein Portfolio verteilt werden, so dass insolvente Unternehmen mit extrem hohen Finanzierungsbedarf nicht bedient werden. Deren Insolvenz erlaubt trotz Stabilisierung der Nachfrage eine gewisse Auslese. Dies gilt natürlich auch für einzelne Banken deren Ausfall auf dem Interbankenmarkt durch die Zentralbank kompensiert werden kann und deren Einlagenkontraktion durch die Fiskalpolitik neutralisiert wird. No one is too big to fail! Geld- und Fiskalpolitik können zusammen die Geldzirkulation aufrecht erhalten.

Ist die Krise vorbei so zahlt es sich aus, dass der Staat nun in Besitz von neu emittierten und im Durchschnitt gesunden Unternehmensanleihen und anderen privaten Finanztiteln ist. Diese erlauben es dem Staat seine Schuldpapiere schnell aus der Zirkulation abzuziehen. Die in der Krise geschaffene Staatsschuld wird nichtig. Im Gegenzug sind nun private Banken in Besitz privater Wertpapiere und die Marktwirtschaft bleibt erhalten. Alternativ kann sich der Staat bei der Zentralbank verschulden (allerdings müssten hier bestehende Gesetze verändert werden): die Staatsanleihen wandern in die ZB-Bilanz, deren Bilanzverlängerung wird aber vom Staat gespart (gehortet oder "verbrannt"). Die Zentalbank ist dann in der Lage trotz Abschreibungen die zuvor geschöpfte Geldbasismenge zurückzukaufen. Allerdings haben wir insoweit ein Entscheidungsproblem: Denn in diesem Fall wären die Staatsanleihen wieder in privater Zirkulation und das bei gesunkener Geldmenge. Nicht nur belastet die Staatsschuld zukunftige Steuerzahler (und reduziert gegebenenfalls das Ressourcenangebot), es steigen zudem Kreditzinsen und bremsen Nettoinvestitionen. Also gibt es Grenzen der expansiven Geld- und Fiskalpolitik, jedenfalls in Hinblick auf die mittlere Frist. Diese Grenze ist umso schneller erreicht, je eher die Bonität der Staatspapiere in Frage gestellt wird. Vielleicht tut Obama hier ein bißchen zu viel des Guten. Und viele europäische Staaten ebenso.