Ich muss Dir in einigen Punkten widersprechen. Auch ich war am Donnerstag abend und am Freitag im Schlossgarten um mir eine eigene Meinung zu bilden. Und ich war überrascht von der Qualität des Protestes. Das Klientel entspricht wirklich dem vielzitierten "Querschnitt durch die Gesellschaft". Vom klassischen "Gutmenschen" bis zum Banker mit Blackberry war alles anzutreffen. Ich habe die Stimmung als sehr friedlich empfunden. Einzelne, die Gegenstände warfen oder die Polizisten bepöbelten wurden von Mitdemonstranten zurecht gewiesen bzw. mit "Keine Gewalt!"-Sprechchören überstimmt. Auch die Polizisten waren großteils freundlich.
Die Aufregung um die Bäume kommt mir auch übertrieben vor. Die Fällarbeiten würden einen vertretbaren Kollateralschaden im Rahmen einer Kosten-Nutzen Analyse darstellen. Beide Komponenten sind jedoch höchst umstritten. Viele Diskutanten - insbesondere die Gegner - zitieren mit heiligem Ernst aus Gutachten und ergehen sich in geologischem, städtebaulichem und verkehrspoltischem Halbwissen. Das ist nicht zielführend. Gleichwohl scheint es eine nicht vernachlässigbare Uneinigkeit unter den Fachleuten zu geben.
Wir rühren aber an einer grundsätzlicheren Frage: Wie repräsentativ sollte unsere Demokratie sein? Darf die Politik den Präferenzen einer Mehrheit - jüngste Meinungsumfragen sehen eine Mehrheit gegen S21 in Stuttgart und im Land Ba-Wü - zuwider handeln? Reicht es aus, alle vier Jahre zur Wahl zu gehen und in den Legislaturperioden die Politik gleichsam sich selbst zu überlassen? Grundsätzlich ja. Mehrheitspräferenzen können auch ineffizient sein. Darum sind etwa moderne Notenbanken unabhängig. Ich kann jedoch keine Ineffizienz in einer Skepsis gegenüber einem Projekt entdecken, dessen Nutzen- und Kostendimensionen unklar sind.
Noch ein Wort zur gegenwärtigen Performance der Landes-CDU: Es ist respektabel, dass die Landesregierung ihr politisches Schicksal und ihre Mehrheit mit S21 verknüpft und nicht umfällt. Gleichwohl haben sich einige Protagonisten in den letzten Tagen und Wochen Instinktlosigkeiten geleistet. Die Demostranten als "linksextreme Agitatoren" (Innenminister Rech) zu diffamieren ist nichts als ein plumper Versuch, vermutete Feindbilder der klassischen CDU-Klientel zu bedienen. Man gewinnt den Eindruck, dass die Landerregierung die Qualität des Protestes - m.E. nach eine breite, bürgerliche Bewegung - verkennt oder verkennen will.