Thursday, October 16, 2008

5 Gegenthesen zum Hohenheimer Appell (amv)

Am 8. Oktober 2008 haben mehrere Hohenheimer Ökonomen einen Appell an Banken, Politik, Wissenschaft, Unternehmen, Medien und Bürger gerichtet, einen Appell an jeden Einzelnen. Demnach sei eine „gravierende Wirtschaftskrise“ nur abzuwenden, soweit alle ihrer Verantwortung bewusst werden und entsprechend handeln. Die Krise ist ein psychologisches Massenphänomen, eine irrationale Reaktion des Marktes, der nur mit Vernunft und Bedacht zu begegnen sei. Dies ist die gute Nachricht: Da die Krise in unseren Köpfen ist, können wir ihr durch Glauben und Hoffnung entkommen. Als Beweis des guten Willens sollen Banken ihre Bilanzen offenlegen und untereinander „Solidarität“ zeigen. Wissenschaftler sind aufgerufen zur politisch durchsetzbaren Unabhängigkeit. Soweit Medien außerstande sind objektiv zu berichten, sind sie angehalten ihre Berichterstattung einzustellen. Der Bürger soll all dem Glauben und Vertrauen entgegenbringen - und sein Geld auf dem Konto lassen. Das alles in zwölf Thesen.

Gegenthese 1 - Nicht das Unmögliche fordern: Ökonomen wissen um die Kraft des Anreizes. Ihr sprechen wir immerhin den Marktprozess zu. Sie steht hinter Adam Smiths Metapher der Unsichtbaren Hand. Es ist üblich auch der Hand des Staates individuelle (Stimmen-)Maximierung zu unterstellen. Unser Menschenbild ist dass des immerwährend Wählenden, in seinen Entscheidungen stets abhängig von seinem Kontext. Umso mehr überrascht der Aufruf, individuelle Anreize einfach zu ignorieren. Solidarität zwischen Banken ist eine ungewöhnliche Vorstellung, ebenso wie die, sich selbst zensierender Medien. Die gleichzeitige Offenlegung der Bankbilanzen, zum Beispiel, scheitert am Gefangenendilemma. Öffnen konkurrierende Banken ihre Bilanzen nicht, so stünde die einzelne Bank allein mit heruntergelassener Hose vor einem höchst aufmerksamen Publikum. Öffnen die anderen Banken ihre Bilanzen doch, so ist es relativ unproblematisch spätestens am nächsten Morgen nachzuziehen. Trotz Appell bleibt die dominante Strategie abzuwarten. Dies gilt ebenso für den Aufruf an die Politik, die Finanzkrise nicht im Wahlkampf auszuschlachten, Stimmen nicht zu maximieren. Die Geschichte zeigt, dass solche allgemeinen Appelle an das Gemeinwohl selten fruchten. Vielmehr müssen Institutionen derart konfiguriert werden, dass sie Eigennutz in allgemeine Wohlfahrt übersetzen.

Gegenthese 2: Der Markt braucht Regeln. Aber er gibt sie auch vor: Ohne Zweifel stimmen die Spielregeln auf den Finanzmärkten nicht. Sicherlich benötigt es neuer Regulierung. Und sollte die Regulierung gelungen sein, so ist ihre internationale Anwendung nur zu begrüßen. Schwierig ist allein die Auswahl. Welche Institutionen helfen? Welche Regeln harmonieren? Selbst unkontroverse Maßnahmen, wie die Verschärfung von Eigenkapitalvorschriften, lassen sich nur schwer optimieren. Die Notwendigkeit für Eigenkapital resultiert aus Unsicherheit, Risiko und asymmetrischer Information. Es sind Kosten, welche wir in Kauf nehmen, um mit bekannten und unbekannten Wahrscheinlichkeiten umgehen zu können. Doch ist unsere Wohlfahrt das Ergebnis von Risiken, die nichtsdestotrotz eingegangen wurden. Es gilt ein Maß, ein Optimum, zu finden. Dabei werden notwendigerweise Fehler gemacht. Der Vorteil des dezentralen Wettbewerbs ist die Auslese, die auf Fehler folgt. Der Informationsbedarf des Einzelnen ist dabei gering; der Wettbewerb als Prozess selektiert anonym. Es stellt sich angesichts der Finanzkrise die Frage, wie das gesamtwirtschaftliche Investitionsverhalten sich trotzdem von den realwirtschaftlichen Bedingungen entfernen konnte. Weshalb lässt die notwendige Bereinigung in Folge von Erwartungsfehlern auf sich Warten? Weshalb türmen sich Fehlallokationen auf, bis sie zu solch weitreichenden Kapitalverlusten führen müssen?

Gegenthese 3 – Psychologie ist weder Ursache noch Lösung: Gerade weil der Erfolg des Marktprozesses nicht auf individuelle Einsicht beruht, sondern systematisch selektiert, ist das psychologische Wohlbefinden in der Erklärung der Finanzkrise sekundär. Es ist nur der älteste und offensichtlichste Erklärungsversuch. Dabei hat die andauernde Inflation der Vermögenswerte eine realwirtschaftliche Dimension. Sie ist nachhaltig, wenn die ihr zugrundeliegenden Investitionen einen entsprechenden Anstieg des allgemeinen Produktivitätswachstums forcieren. Wir haben in der Tat rapiden Technologischen Fortschritt hinter uns und es ist zumindest vorstellbar, dass im Zuge des noch andauernden Strukturwandels und der zunehmenden institutionellen Inkompatibilität, Übertreibungen forciert werden. Dies sind dann Kosten des Fortschritts, und ihre Minimierung kann uns eben diesen kosten. Doch mit manchen Kosten müssen wir nicht leben. Die Fehlallokationen auf dem Immobilienmarkt gehen auf veränderte Regulierungen zurück. Deregulierung ist hier der falsche Begriff. Etablierte und wohlbewährte Spielregeln wurden verändert. Privilegien wurden gewährt. Es ging dabei auch um jenes Allgemeinwohl, das uns heute leiten soll. Selbst kapitallose Geringverdiener, so der damalige politische Wille, sollten Zugang zu Hauseigentum haben. Heute sind wir überrascht, dass Eigentum nicht verordnet werden kann, das Kreditexpansion an sich keinen Wohlstand schafft.

Gegenthese 4 – Die Psychologie dominiert, wenn die Geldpolitik es zulässt: Die Neuregulierungen auf den Immobilienmärkten erklärt aber nur eine partielle Krise, eine Allokationskrise. Soweit Realkapital tatsächlich fehlgeleitet ist, bleiben Kapitalwerte unten. Nettoinvestitionen bleiben aus. Wahrscheinlich ist eine breite Disinvestition, während der bestehende Bestand durch das durch fallende Preise gestiegene Realeinkommen absorbiert wird. Die gesamtwirtschaftliche Dimension der Finanzkrise wird durch eine das Realwachstum übersteigende Wachstumsrate der Nominalausgaben ins Spiel gebracht. Nur ein stabiler geldpolitischer Ordnungsrahmen gewährleistet, dass Eigenkapitalquoten Orientierung bieten. Ein allgemeiner Anstieg der Vermögenspreise in Folge einer anhaltenden Kreditexpansion ist auch ein Anstieg im Nominalwert von Sicherheiten. Rapide Kreditexpansion birgt demnach die Gefahr in sich, ihre Kontrollen zu erodieren. In diesem Kontext haben es Illusionen leicht, Fuß zu fassen. Finanzinnovationen, die für dieses Umfeld konzipiert werden, erweisen sich als wenig nachhaltig. Die hohen Kapitalverluste heute (überschießend, da der Markt mit systemischen Krisen schwer umgehen kann), sind notwendige Korrekturen der vergangenen Kreditexpansion und zunehmenden Geldzirkulation auf Finanzmärkten. Der Aufkauf der jeweiligen Finanztitel durch die Zentralbank oder das Finanzministerium ändern nichts an den strukturellen Anpassungen, die die Realwirtschaft ohnehin durchschreiten muss. Dazu gehört auch der Finanzmarktsektor selbst. Wie der Immobilienmarkt scheint er überinvestiert: Zu viele und zu teure Mitarbeiter; zu hohe Kapazitäten. Die Rekapitalisierung der Banken ist insoweit keine wirkliche Lösung. Wir verschieben nur das Problem.

Gegenthese 5 – Mittel- und langfristig ist staatliche Intervention wenig hilfreich: Die optimale Höhe des Kredithebels hängt von allen anderen Regeln und Riten ab, die die Stabilität des Marktprozesses bedingen. Das Regulierungsproblem ist demnach komplex, gekennzeichnet durch institutionelle Komplementaritäten, Interdependenz und schiere Größe. So signalisiert die Notwendigkeit zu verschärften Eigenkapitalvorschriften möglicherweise vergangene Regulierungsfehler, die an anderer Stelle das System destabilisiert haben. Die Auslese von Institutionen, zu denen auch die subtileren Konventionen und Verhaltenkodizes gehören, ist daher kaum zentral zu koordinieren. Es bedarf eines wettbewerblichen Selektionsprozesses, analog zu dem auf Märkten. Leider diskriminiert die Auslese zwischen Institutionen nicht mit der gleichen Schärfe, wie die auf Gütermärkten. Spontane Ordnungen entstehen dennoch, sie sind nur nicht perfekt. Leider teilen Politik und Gesellschaft dasselbe Wissens- und Erkenntnisproblem. Der Unterschied: Private Entscheider adaptieren erfolgversprechende Handlungsmuster und verwerfen sie im Scheitern. Schlechten Entscheidern, solchen die systematisch daneben liegen, wird über den erleideten Verlust in Kapital und Einkommen die Verfügungsgewalt über knappe Ressourcen entzogen. Erfolgreichern Entrepreneuren wird diese Verfügungsgewalt in die Hände gespielt. Zentral getroffene Entscheidungen leben hingegen davon, eben diese Selektion auszuhebeln. Regeln sind obligatorisch, gelten für alle gleichzeitig. Sie geben nur jenen eine Wahl, die dafür eintreten können. Sie verzerren die Einkommensverteilung zugunsten jener, die Löcher in die Regulierung reißen. Zentrale Entscheidungen sind nur effizient, wenn sie auf Anhieb treffen. Also selbst wenn die Politik über ihren Schatten springt und sich glaubhaft dem Gemeinwohl verpflichtet, sehe ich keinen Rechtfertigung in einer leichtfertigen Einladung an das Gewaltmonopol sich den Finanzmärkten anzunehmen, sich „zu kümmern“ und „Vorstellungen zu entwickeln“.