Monday, October 4, 2010

Replik² (ls)

  1. Wir müssen uns nicht in hobbysoziologischen Milieustudien aufreiben. Aber wir sind uns doch einig, dass bei den Demonstranten die notorischen Querulanten und die kategorischen Umweltschützer in der Minderheit sind?
  2. Der "wir sind das Volk"-Ruf ist in der Tat unpassend. Dennoch, die Demonstranten dürfen sich mittlerweile gemäß Umfragen als Repräsentanten der Mehrheitsmeinung fühlen. Nur weil Leute nicht demonstrieren sondern shoppen, können sie doch sehr wohl gegen das Projekt sein.
  3. Ich muss nochmals betonen, dass ich - genau wie Du - hinsichtlich des Projekts neutral bin. Dennoch stören mich zwei Aspekte: (i) eine Mehrheit ist aktuell dagegen und (ii) es besteht Uneinigkeit unter den Fachleuten bezüglich der Kosten- und der Nutzendimensionen. Die gegenwärtige Forcierung der Baumaßnahmen widerspricht daher meinem Demokratieempfinden. Die Betonung liegt auf dem weichen Faktor "Empfinden". Dass das Projekt rechtlich legitimiert ist zweifle ich nicht an. Genausowenig zweifle ich an, dass die Demonstranten sich rechtswidrig verhalten haben. Dennoch scheint es in der Folge zu einzelnen Unverhältnismäßigkeiten der Polizei gekommen zu sein. Die Untersuchung des Einsatzes wird dies klären. 
  4. Man kann den Menschen nicht vorwerfen, sich erst für Themen zu interessieren, sobald sie einen kritischen Konkretisierungsgrad erreichen. Das ergibt sich aus der Zeitpräferenz und dem Oppurtunitätskostenkalkül. Es erklärt die erst in letzter Zeit zunehmende Breite des Protests, und die schliesslich erfolgreichen Mobilisierungsbemühungen der Gegner der ersten Stunde. Das sollte den Protest für die politische Entscheidung jedoch nicht automatisch gegenstandslos machen.
  5. Immer wieder wird vorgebracht, dass sich die Informationslage hinsichtlich S21 verändert habe. Neuere Gutachten kommen zu skeptischen Schlüssen. Ich will und kann die Gutachtenschlacht fachlich nicht werten. Privatrechtliche Verträge, z.B. im Kreditgeschäft, werden gelegentlich so ausgestaltet, dass im Falle unvorhergesehener Änderungen des Informationssets die Parteien vom Vertrag zurücktreten können. So können Banken dann Kreditzusagen verweigern, wenn sich Marktbedingungen und/oder Bonität des Kreditnehmers drastisch verschlechtern. Wenn die Struktur der S21-Verträge solch eine Möglichkeit vorsieht, sollte bei entsprechender Sachlage - deren Beurteilung Sache der Fachleute ist -  davon Gebrauch gemacht werden. Gegeben die vielen Unwägbarkeiten die ein Infrastrukturprojekt dieser Größe und mit dieser Bauzeit mit sich bringt, wäre eine Implementierung solcher Klauseln wünschenswert gewesen. Da das Projekt rechtlich scheinbar "unumkehrbar" ist, gibt es diese wohl nicht.