Wednesday, April 6, 2011

Über den Rubikon II (amv)

Es ist bedauerlich, dass angesichts der aktuellen Themendichte die Transformation der EU zur Transferunion in den Medien kaum stattfindet. Bedauerlich ist auch, dass soweit die Installation des ESM (European Stability Mechanism) überhaupt behandelt wird, kritische Einwände als anti-europäische Attitüde abgetan werden. Einer sachlichen Debatte steht das natürlich im Wege: wer hat schon ein Interesse, als Anti-Europäer klassifiziert zu werden. Martin Walzer hat in einem anderen Zusammenhang den Begriff der 'Moralkeule' geprägt. Wer den politischen Entscheidungen auf EU-Ebene entgegentritt, hat zu befürchten, als moralisch minderwertig, populistisch und chauvinistisch stigmatisiert zu werden. In diesem Klima werden sachliche Argumente und objektive Debatten unterdrückt ... und das zum Nachteil der Europäischen Integration.

Selbst wenn man die Transferunion grundsätzlich befürwortet, kann man mit den konkreten Ergebnissen politischer Entscheidungsfindung kaum zufrieden sein. Wie Manasse argumentiert, sind die eingesetzten Summen zu klein und kommen mit 2013 zu spät, um die Finanzmärkte zu stabilisieren. Zudem erhöhen die Regelungen des ESM  die Wahrscheinlichkeit der Ansteckung: Weil die eingesetzten Summen auch von potentiellen Krisenländer eingebracht werden müssen, wird die akute Krise eines oder mehrerer dieser Länder zu geringeren fiskalischen Spielräumen bei anderen Krisenländer führen. Auch die Einstimmigkeitsregelungen sind aus einer Public-Choice Perspektive höchst problematisch.

Hätte Europa doch auf ihre Ökonomen erster Güte gehört, wie z.B. Wolfgang Franz, Clemens Fuest, Martin Hellwig und Hans-Werner Sinn. Diese haben bereits im Juni 2010 eine konsistente und ökonomisch nachhaltige Lösung vorgeschlagen. Hier ihre 10 notwendigen Bedingungen für die Reform der Währungsunion (ich habe nur Probleme mit Punkt 4):
    1. Hilfen können bedrängten Staaten grundsätzlich nur nach einer einstimmigen Feststellung der drohenden Zahlungsunfähigkeit durch die an den Hilfsaktionen beteiligten Länder und den IWF gewährt werden.
    2. Die Hilfen sollten als verzinsliche Bürgschaften (Avalkredite) oder als Kredite gewährt werden, deren Zins um einen angemessenen Prozentsatz (möglicherweise 3,5 Punkte) über dem europäischen Durchschnittszins liegt. Die Kredite sollten einen bestimmten maximalen Prozentanteil des Bruttoinlandsproduktes des hilfsbedürftigen Landes nicht überschreiten.
    3. Zugleich mit der Gewährung der Hilfen müssen die Altgläubiger durch einen sogenannten Haircut auf einen Teil ihrer Ansprüche verzichten. Der maximale Verzicht sollte klar beziffert werden, um eine panikartige Zuspitzung des Krisengeschehens auszuschließen. Wir halten einen Haircut von 5 Prozent pro Jahr seit der Emission eines Staatspapiers für angemessen. Das begrenzt den Zinsaufschlag, den Gläubiger im Vorhinein fordern, auf maximal etwa 5 Prozentpunkte. Man könnte zusätzlich eine pauschale Laufzeitverlängerung für Papiere mit einer Restlaufzeit unter drei Jahren vorsehen. Entscheidend ist, dass die Kapitalmärkte eine klare Kalkulationsgrundlage haben.
    4. Das Budget des von der Zahlungsunfähigkeit bedrohten Landes wird unter die Kontrolle der EU-Kommission gestellt. Die Kommission erarbeitet mit dem betreffenden Land ein Programm zur Sanierung der Staatsfinanzen, das auch Reformen zur Stärkung des Wirtschaftswachstums beinhalten kann. Die Hilfen werden unter der Bedingung aufrechterhalten, dass das Land die Auflagen des Programms erfüllt.
    5. Diese Insolvenzordnung darf keinesfalls durch andere Hilfssysteme unterlaufen werden, die Anreize zu opportunistischem Verhalten geben, insbesondere nicht durch die von manchen Schuldenländern favorisierten Eurobonds. Eurobonds bedeuten eine vollkommene Zinsangleichung ungeachtet der Bonität der Schuldenländer und kommen deshalb einer Subventionierung des Kapitalflusses in diese Länder gleich. Sie wären ein Freibrief für abermalige Verschuldungsexzesse und hätte darüber hinaus die erwähnten negativen Folgen für das deutsche Wirtschaftswachstum. Eine besonders große Gefahr bei den nun anstehenden Verhandlungen liegt darin, dass Deutschland eine Insolvenzordnung zugestanden wird, wenn es den Eurobonds zustimmt. Wir halten es darüber hinaus für erforderlich, die politischen Schuldenschranken nach der Art des Stabilitäts- und Wachstumspaktes zu stärken. Wir betonen aber, dass diese Schranken die von den Finanzmärkten ausgehende Disziplinierung über bonitätsabhängige Zinsaufschläge nicht ersetzen können. Im Einzelnen sollten folgende Vorkehrungen getroffen werden.
    6. Die Defizitgrenze des Stabilitäts- und Wachstumspaktes sollte in Abhängigkeit von der Schuldenquote modifiziert werden, um von hochverschuldeten Ländern frühzeitig mehr Schuldendisziplin einzufordern. Beispielsweise könnte man die Grenze für je 10 Prozentpunkte, um die die Schuldenquote über 60 Prozent liegt, um je einen Prozentpunkt kürzen. Ein Land mit einer Schuldenquote von 80 Prozent dürfte dann nur maximal ein Defizit in Höhe von 1 Prozent des Bruttoinlandsproduktes haben. Ein Land mit einer Schuldenquote von 110 Prozent müsste einen Budgetüberschuss von mindestens 2 Prozent erzielen.
    7. Für die Überschreitung der Schuldengrenzen sind Strafen zu definieren, die automatisch ohne weiteren politischen Entscheid fällig werden, wenn Eurostat die Defizite formell festgestellt hat. Die Strafen können pekuniärer Natur sein und die Form von Pfandbriefen annehmen, die mit privatisierbarem Staatsvermögen besichert sind, und sie können auch nichtpekuniäre Elemente enthalten wie zum Beispiel den Entzug von Stimmrechten.
    8. Eurostat erhält zum Zweck der Feststellung der Defizite und Schuldenquoten die Befugnis, von allen Ebenen der nationalen Statistikbehörden direkt Auskunft zu verlangen und vor Ort eigenständige Kontrollen der Erhebungsprozeduren vorzunehmen.
    9. Schlussendlich sollte für den Fall, dass alle genannten Hilfs- und Kontrollsysteme versagt haben und dennoch eine abermalige Insolvenz eintritt, der Austritt des betroffenen Landes aus dem Euro-Verbund durch mehrheitlichen Beschluss der Euro-Länder ermöglicht werden.
    10. Der freiwillige Austritt aus dem Euro-Verbund sollte jederzeit möglich sein.
    UPDATE: Stellungnahme des Plenums der Ökonomen