Wednesday, April 6, 2011

Über den Rubikon III: Sinn bringt es auf den Punkt (amv)

Hans-Werner Sinn über die Rettungspakete (ich zitiere aus einer internen, leicht modifizierten Version):
Mit dem Beschluss über die Rettungspakete sei die Gemeinschaftswährung nun dauerhaft stabilisiert, sagt Bundeskanzlerin Angela Merkel der deutschen Bevölkerung. Davon kann leider überhaupt nicht die Rede sein. Das Rettungssystem ist vielmehr eine tickende Zeitbombe, deren Sprengkraft selbst die schlimmsten Ahnungen der Öffentlichkeit übersteigt.

[...] Die Länder hätten nun eigentlich aufhören müssen, über ihre Verhältnisse zu leben, aber den dazu nötigen harten Sparkurs wollte kein Politiker verantworten. Stattdessen versuchte die Politik, die zur Finanzierung des Lebensstandards ihrer Bürger ausfallenden privaten Kreditflüsse durch öffentliche Kredite zu ersetzen. Dies geschah auf fünffache Weise:

  1. Zuerst kamen diese Kredite von der Europäischen Zentralbank, die im Zuge ihrer „Vollzuteilungspolitik“ bereitwillig Geld druckte und verlieh.
  2. Die Zentralbank finanzierte auch die Staatsbudgets der GIPS‐Länder, indem sie Staatspapiere kaufte, was Bundesbankpräsident Axel Weber veranlasste, von seinem Posten zurück zu treten. Ein solches Verhalten war der Bundesbank früher wegen der Inflationserfahrungen aus der Weimarer Republik verboten.
  3. Die EZB erlaubte den nationalen Notenbanken, außerhalb der normalen Geldschöpfung, neues Geld zu schöpfen und gegen mindere Sicherheiten an die jeweiligen Geschäftsbanken zu verleihen (ELA, Emergency Liquidity Assistance).
  4. Vor allem aber gaben einzelne Zentralbanken, an erster Stelle die Bundesbank, den Zentralbanken der GIPS‐Länder über die EZB in gigantischem Umfang Kredite, um den versiegenden privaten Kreditfluss zu ersetzen. Dies geschah unter der technischen Bezeichnung „Target‐2‐Salden“ von der Öffentlichkeit weitgehend unbemerkt, ohne Mitwirkung parlamentarischer Gremien und ohne Spuren in der Bilanz der EZB zu hinterlassen. Diese verhängnisvollen Geschäfte funktionieren wie eine Art Überziehungskredit: Die jeweiligen Zinserträge und ‐kosten werden über das EZB‐System sozialisiert – weshalb die Bundesbank nicht von einer Kreditvergabe sprechen möchte. Tatsächlich aber floss in riesigem Umfang öffentlicher Kredit von Deutschland in die GIPS‐Staaten, um dort den Abfluss von Geldern zu neutralisieren. Wenn diese Staaten nicht zurückzahlen können, ist der deutsche Steuerzahler dran; dazu unten mehr.
  5. Und nun gibt es die neuen EU‐Beschlüsse zur Ausweitung des Rettungsfonds in Luxemburg, die der wissenschaftliche Beirat beim Bundesministerium der Finanzen zu Recht als „Besorgnis erregend“ bezeichnet. Der Fonds wird die europäischen Ungleichgewichte, die durch die überbordende Entwicklung der Preise und Einkommen zustande kamen, verlängern und die Auslandsschulden der GIPS‐Länder immer weiter anwachsen lassen. Mit jedem Jahr, während dessen die Kredite der Staatengemeinschaft die versiegenden privaten Kredite ersetzen, entfernt sich das Eurosystem weiter von der Lösung seiner Probleme. Und Deutschland sitzt nun in der Falle. Denn je mehr Schulden die betroffenen Länder bei anderen Euroländern aufbauen, desto größer ist ihr Drohpotenzial, wenn es darum geht, eine Transferunion in Europa zu erzwingen. Im Endeffekt wird Deutschland die Schulden der GIPS‐Länder an sich selbst zurückzahlen müssen.
[...] Summa summarum liegen die Hilfszusagen für bedrängte Euroländer damit bei 1542 Milliarden Euro, und Deutschland haftet mit 391 Milliarden Euro.

[...] Offiziell wird argumentiert, der „Pakt für den Euro“ werde sicherstellen, dass größere Haftungssummen niemals fällig werden. Hoffen wir, dass es so ist. Man muss aber bedenken, dass es sich bei den Schuldengrenzen nicht um bindende Verträge handelt, sondern nur um vage politische Absichtserklärungen. Sie lassen sich durch politische Einflussnahme und Druck dehnen wie Gummi. Zudem verwandeln sich die vermeintlichen Schuldengrenzen angesichts der Weigerung der Märkte, die Außenhandelsdefizite der GIPS‐Länder weiter zu finanzieren, faktisch in Verschuldungsrechte, denn man wird einem Land die Gemeinschaftskredite nicht verwehren können, wenn es sich an die gemeinsam beschlossenen Schuldengrenzen hält.